Der Runenstein - Knöchelspuren des Teufels
– VOR DEM ERSTEN HAHNENSCHREI
Die älteste der drei Sagen um den Runenstein erzählt, wie der Stein zu dem Namen „Teufelsstein” kam.
Zwischen Seppensen und Lohbergen erhob sich abseits vom Wege eine Anhöhe, auf der sich ein von Moos und Kräutern umwachsener Stein befand. Dieser Stein war unser Runenstein, der aber zu jener Zeit von keinem Menschen als solcher erkannt wurde.
Nun lebte damals in Seppensen ein Schneider, der zugleich Musikant war. Nebenbei betrieb unser Schneiderlein auch noch die Kunst, mit Spielkarten allerlei Hokuspokus zu machen, über die seine erstaunten Zuschauer sich jedes Mal schier zu Tode lachen wollten. Zu verwundern war es da wohl nicht, dass unser Meister Zwirn mitunter die häuslichen Sorgen von sich warf und bei Spiel und Tanz sowie bei den dann gewöhnlich folgenden Kartenkunststücklein einen Schluck über den Durst nahm und mit schwerem Kopf und schwachen Beinen mitten in der Nacht nach Hause wankte.
In einer schönen Sommernacht kam der Schneider dann auch mal wieder von einer Kirchweih heim und wanderte, seine Fiedel über den Rücken gehängt, durch den Lohbergener Forst seinem Heimatdorfe Seppensen zu. Der Mond schien taghell. Der Weg war lang und einsam, mutterseelenallein schritt er den Waldpfad dahin, allmählich schwanden die Geister der genossenen Getränke aus seinem Gehirn, und die Wehmut des beginnenden Katzenjammers überkam ihn. Er warf sich mitten im Walde nieder und rief:
„Das Leben ist doch gar zu erbärmlich! Die Woche über muß ich nähen, dass mir die Augen blind und die Hände lahm werden, am Sonntag fiedle ich vom Nachmittag an bis in den hellen Morgen hinein; dazu ein immer keifendes Weib, fünf nimmersatte Mäuler – wahrlich, das Leben möge der Teufel holen, wenn er’s haben will!”
Plötzlich trat ein Mann in reicher Jägertracht hinter dem Hügel hervor und sagte: „Ist’s Euch so leid ums Leben? Irre ich nicht, so seid Ihr doch der lustige Schneider und Fiedler von Seppensen?”
„Der bin ich, Herr!” entgegnete der Schneider, „aber hol´ mich der Teufel, es ist wahr, was ich sage: es ist eine Schand´, wie wir armen Leute uns quälen müssen. Was hab’ ich von all meinem Arbeiten und Fiedeln? Nichts als das trockene Brot für mich und die Meinen.”
„Ihr sollt ja trefflich Karten spielen und Zauberstücklein mit Euren Karten machen können”, sagte der Fremde, „da geht auf Reisen! Eure Karten können Euch ein schön Stück Geld draußen im Lande, namentlich in den großen Städten, eintragen.”
„Und währenddessen verhungern Weib und Kinder”, meinte der Schneider.
„Mache Euch einen Vorschlag”, erwiderte der Jäger und zog aus seiner Jagdtasche einen Beutel, den er von seiner Schnur befreite und aus dem nun blanke Goldstücke dem Schneider entgegenblinkten. “Hier dieser Beutel voll Goldgulden ist Euer, wenn Ihr dreimal hintereinander im Kartenspiel mit mir gewinnt.”
Der Schneider blickte den Fremden groß an, betrachtete dann die rotglänzenden Goldstücke und fragte gedehnt: ,,Und wenn ich verspiele?”
„Dann seid Ihr der Meine, ich bin Euer Herr, und Ihr folgt mir; aber das Gold hier könnt Ihr zuvor Eurer Familie geben.”
Der Schneider tat einen Luftsprung, der Handel war zu verlockend.
„Nun, wollt Ihr?” fragte der Jäger. „Könnt es getrost mit mir wagen.”
,,Gut!” rief der Schneider, seiner Spiel- und Kartenkunst vertrauend. „Aber – soll’s gleich sein? Wir haben ja keinen Tisch!” Der Jäger zeigte nach der Anhöhe hinauf.
„Dort oben liegt ein Heidenstein”, bestimmte er, ,,an dem spielt sich´s vortrefflich.”
Die beiden erstiegen die Anhöhe und lagerten sich zu Füßen des Steins. Der Schneider nahm seine Karten, die er allzeit bei sich trug, ließ den Fremden mischen, und das Spiel begann.
„Ein wenig rasch, seid so gut!” befahl der Fremde, ,,möchte vor dem ersten Hahnenschrei zu Hause sein, der Mond wird bleicher, und es beginnt schon zu dämmern.”
Stich um Stich wurde nun getan. Mit dem Beginn des Spiels hatte der Schneider seine ganze Denkkraft wieder gewonnen, um so mehr, als ein wahrer Goldschatz für ihn zu gewinnen war. Das erste Spiel war zu Ende, der Schneider hatte gewonnen.
“Verflucht!” rief der Fremde, und seine Stimme klang krächzend wie die einer Nachteule.
Sie spielten weiter. Stich um Stich siegte wieder der Schneider, während dessen Gegner bei jeder neuen Karte mit seinen Handknöcheln auf die Steinfläche schlug, dass ein harter, schriller Laut ertönte. Zugleich gewahrte der Schneider, dass mit jedem Schlag, den sein Mitspieler auf den Stein tat, dieser tiefer in den Erdboden sank.
– Auch das zweite Spiel war zugunsten des Schneiders entschieden.
Der Mond schien mehr und mehr zu erbleichen, sein Licht wich der Morgendämmerung, die den Osten zu erhellen begann. Der Jäger tat einen gotteslästerlichen Fluch und streckte, wohl um bequemer zu lagern, sein Bein lang aus. Da erschrak der Schneider bis ins Herz hinein. War ihm schon das Schlagen des Fremden mit seinen Handknöcheln auf den harten Stein, das Einsinken des Steins gar unheimlich erschienen, jetzt erblickte er mit Grausen, dass des Jägers linker Fuß einem Klump- oder Pferdefuß glich. Mit einem Male war es ihm klar: er hatte den Teufel gerufen, und dieser war gekommen.
Jetzt galt es Fassung, sollte nicht alles verloren sein. – Ein Spiel war noch übrig. Wer konnte wissen, welche Teufelskniffe der Satan anwenden würde, dies zu gewinnen! Aber der Schneider von Seppensen verlor nicht den Mut. „Seid nicht unwirsch, Herr!“ rief er, „will Euch zur Kurzweil erst mal ein Kunststücklein zeigen, dann werdet Ihr freundlich gestimmt, und wir spielen weiter.” Und im selben Augenblick hielt er dem Jäger die Karten hin und sagte: ,,Zieht eine Karte und behaltet sie in der Hand!”
Der Jäger tat, wie der Schneider wollte. Dann forderte dieser ihn auf, die Karte, die er in der Hand hielt, in seinen Hut zu legen und diesen wieder auf den Kopf zu setzen. – Auch dies tat der Jäger. Der Schneider mischte nun wieder die Karten, nahm die oberste davon und reichte sie dem Fremden mit den Worten: ,,Da habt Ihr Eure Karte – nun gebt mir die aus dem Hut!” Die Karte, die der Jäger selber in seinen Hut gelegt hatte, war verschwunden.
„Beim Beelzebub! Kerl, wie habt Ihr das gemacht?” lachte der Jäger.
Der Schneider ergriff die Karten, warf sie dem Fremden ins Gesicht und rief dann: “Jetzt, Herr, nehmt mal wieder vorsichtig Euren Hut ab und seht, was darin ist!”
Der Fremde nahm seinen Hut wieder ab – und dieselbe Karte war in seinen Händen.
„Holla, Schneider, Ihr seid ein Spitzbube”, rief der Jäger, und seine dunkel glänzenden Augen richteten sich nach Osten, ,,nun vorwärts, rasch das dritte Spiel!”
„Ja, ja”, antwortete der Schneider, „sucht nur die Karten erst wieder zusammen, dann spielen wir weiter.”
Der Fremde raffte hastig die Karten auf, unser Schneider beeilte sich nicht zu sehr, eine geheime Furcht schien ihn zu verwirren. Endlich war das Spiel beisammen. Der Fremde, der diesmal mischen musste, zählte, es fehlten noch zwei Karten.
„Verdammter Spitzbube”, donnerte er dem Schneider zu, “wo habt Ihr die Karten? Die Zeit verrinnt, es wird Morgen!”
„Bei Euch, Herr, müssen sie niedergefallen sein und noch liegen”, entgegnete dieser, und nach geraumem Nachsuchen fand der Jäger wirklich die zwei noch fehlenden Karten.
Das dritte Spiel begann. – Der Beutel mit den funkelnden Goldstücken lag neben dem Stein. – Der Jäger schien sich bei jedem Stich zu besinnen, er blickte mit seinen glühenden Augen den Schneider an, als ob er ihn durchbohren wollte, aber dieser sann ebenfalls bedächtig nach, nur langsam folgte Stich auf Stich.
Da plötzlich, mitten im Spiel, flammte es blutrot auf über dem Wald, die Dämmerung war verschwunden – und drüben überm Walde krähte laut ein Hahn. Die Sonne stieg rotglühend im Osten empor.
Der Schneider hatte plötzlich das Gefühl, als sei er vom Blitz getroffen, – taub, blind, gelähmt. Erst allmählich kam er wieder zu sich. Als er die Gegenstände vor und um sich wieder zu unterscheiden vermochte, war der Fremde verschwunden. Zu seinen Füßen aber fand der Schneider den Beutel mit all den Goldgulden. Jetzt begriff er! Beim ersten Hahnenschrei hatte der Teufel nach “Teufels- und Hexengesetz” entweichen müssen; er konnte ihm jetzt nichts mehr anhaben. Aber ein „grundehrlicher Teufel” war es doch gewesen, denn er hatte sich als überwundener gefühlt und, was man einem Teufel nimmermehr hätte zutrauen sollen, dem armen Schneider redlich den versprochenen Gewinn gelassen.
Der Schneider von Seppensen aber verließ nach dieser Begegnung sein Heimatdorf und siedelte nach Bremen über, weil er sich da vor einer zweiten Begegnung mit dem Teufel gesicherter hielt. Er ist alldort ehrsamer Meister und Bürger geworden und soll bis zu seinem, hoffentlich seligen Ende ein großes Schneidergeschäft betrieben haben, das er dann seinen Kindern vererbte.
Der Stein, an dem Teufel und Schneider gespielt hatten, war also in jener Nacht bis auf einen Fuß in die Erde gesunken, und die ganze obere Fläche zeigte wunderliche Vertiefungen, die beim Ausspielen der Karten die Handknöchel des Teufels eingedrückt haben sollen. Wir kennen sie als Runenzeichen.
Und war er geboren – der Teufelstein!
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